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8. Tag Punta la Reia - Santiago de Compostella

Pilgerdenkmal

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6.4. Auf meiner linken Nüster haben sich durch den Sonnenbrand Blutkrusten gebildet. Überhaupt fühlt sich die Steuerbordseite meines Antlitz an wie Sandpapier. Rechts dagegen ist alles in Butter. Sieht seltsam aus. Bin nicht sicher ob mich die Leute wegen des unregelmäßig verbrannten Gesichtes, der Frisur (vergessen, einen Kamm mitzunehmen) oder der klaren Erkennbarkeit als Pilger komisch angucken. Vielleicht trage ich nun auch einen Heiligenschein und errege deshalb Aufmerksamkeit. Trotzdem, das bisschen Sonnenbrand, Fussellippen, Muskelkater und Gelenkbeschwerden ist nicht der Rede wert. Um etwa Ein Uhr in Santiago angekommen. Ewig durch die kopfsteingepflasterten Gassen der Altstadt geirrt. Immer in ungefähr nach der Himmelsrichtung abgebogen. Erster Blick auf die Türme der Kathedrale durch eine abfallende Gasse. Sehr hohe Türme, trotzdem konnte man sie von dem Hügel vor der Stadt, von dem angeblich der erste Blick auf die Kathedrale von Santiago aus zu erhaschen ist, nicht sehen. Musste das Fahrrad über einige Treppen und durch eine dunkle Passage mit einem Dudelsackspieler tragen. Die großen Kirchen liegen hier alle nahe beieinander und man kommt am ein oder anderen "falschen Portal" vorbei bevor sich endlich die berühmte Front der Kathedrale von Santiago de Compostella vor einem auftut. Auf dem Platz vor der Kirche ein gewaltiger Auftrieb von Touristen. Nur eine Handvoll Pilger. Singende Engel? Erlösung? Nichts dergleichen. Nur eine furchtbar verschnörkelte Frontseite mit viel zu vielen Touristen und einem Stadtbähnchen davor. Die kleinen Kirchen in den verschlafenen Weilern Galiciens
santiago de Compostella

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waren da vom metaphysischen Standpunkt aus viel beeindruckender. Werde morgen früh nochmal hierherkommen und dann auch in die Kathedrale gehen. Schlafen.

Sehr lange und gut geschlafen. Endlich mal niemand, der schnarcht im Raum. Aufstehen ist beschwerlicher als in den Herbergen, da das Bett flüstert: "Bleib doch noch etwas" und die Glieder schreien: "Nicht bewegen". Und ich könnte ja den ganzen Tag liege bleiben. Niemand, der mich raus wirft. Niemand, der in seinen Sachen wühlt. Sitze nun in einer schönen Bar neben der Kathedrale. Diesmal sogar nicht grundlos. Es begann zu regnen, und wenn meine Sachen nass werden, werde ich morgen einen eher unangenehmen Flug haben. Das Credential, also die Pilgerurkunde war im Pilgerbüro problemlos zu bekommen. Außer mir nur ein älteres Paar dort gewesen. Aber nach der Menge der Schalter dort rechnen sie zu Stoßzeiten mit deutlich mehr Andrang. Für die Übersetzung meines Namens ins Spanische mussten sich die nette Dame etwas anstrengen. Zwar haben sie einen Computer dort, der das erledigen soll, aber bei ungewöhnlichen zusammengesetzten Namen streikt der. Es gab keine Nachfragen. Mein Gesicht macht mich wohl über jeden Zweifel Erha
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ben. So sieht niemand aus, der gerne Bus und Bahn fährt. Eine großen Bildband gekauft, um die Pilgerurkunde verstauen zu können. Leider stellte sich nach dem Kauf raus, dass sie einen Zentimeter zu schmal war. Prima. Viele Memorabiliengeschäfte gibt es hier. Jakobsmuscheln aus allen Materialien und in allen Größen gibt es zu kaufen. Das Abzeichen für den Fahrradpilger ist übrigens ein Abstraktes Etwas das von Miro entworfen sein könnte.
santiago de Compostella

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Sitze auf einer Holzbank in der Kathedrale zum Gottesdienst. Der Altar im Geviert ist riesig und begehbar. Man sieht aus dem Schiff die Hände der Pilger wenn sie den heiligen Jakobus im Zentrum des Altares von hinten umarmen. Eine Nonne singt und erzählt etwas auf Spanisch. Die Nonne muss vom Pilgerbüro eine Liste der Pilger bekommen haben denn sie nennt Nationalität und Ausgangsort eines jeden, der heute angekommen ist. Hauptsächlich Deutsche. Ich war der einzige aus Pamplona und wohl für heute auch der mit dem weitesten Weg. Langer Gottesdienst. Zum Abendmahl zog eine Schlange humpelnder Gestalten zum Altar. Viele schwer gezeichnet von den Strapazen . Warum sich Menschen so etwas antun? Vielleicht hat der Mensch der Moderne das Bedürfnis nach Tradition, Teil eines Ganzen zu sein, das seit über tausend Jahren existiert, und noch sein wird, wenn er es nicht mehr ist. Glied in einer endlosen Kette Namenloser, die sich über die Jahrhunderte unter der brennenden Sonne Spaniens, durch Regen und Schnee nach Santiago bewegt, um in diesem steinernen Gewölbe zu beten. - Pilger zu sein.


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